Afrika, das nicht einfach nur ein Kontinent. Man riecht Afrika mehr, weil die Augen sich überladen an der Schönheit des Landes. Sei es der Fischmarkt in Tanga, oder die salzige Luft an Küste von Pongwe. Doch am meisten ist mir der Geruch der Strasse geblieben, würzig in der Trockenzeit und eine regelrechte Kaskade der Gerüche in der Regenzeit. Man kann es nicht beschreiben, man kann es nur erleben.
Meine Beziehung zu Afrika habe ich sozusagen schon mit der Muttermilch aufgesogen, denn sie wurde im Süden des damaligen
Tanganjika geboren zur Zeit des britischen Protektorats. Ihre Kindheit verbrachte sie auf dem schwarzen Kontinent und dementsprechend hat sie sehr viel von den dortigen Kulturen aufgenommen, sei es die britische oder amerikanische, aber auch die afrikanische. Hakuna Matata.
Um ihre Schulbildung abzuschliessen kam sie dann Anfang der 70er in die Schweiz zurück, was für sie ein vollkommener Kulturschock war. Nicht nur das Land war kühler, sondern auch seine Bewohner. Sie empfand die Menschen damals als fremdartig kühl, zurückhaltend und sehr unspontan, selbst Heute fühlen sie gewisse Leute von ihrer Art einfach überrollt. Sehr unschweizerisch halt, aber man kann damit leben.
Naja, irgendwann kam dann die Sache mit meinem Vater und den musste sie natürlich auch den Eltern vorstellen, damals war ein Flugticket auch nicht gerade billiger als Heute, aber sie kratzten genug Geld zusammen und flogen gemeinsam nach Tansania. Mein Vater wurde begutachtet und das nicht nur von seinen künftigen Schwiegereltern, nein, die damaligen Hausangestellten hatten in etwa auch den Status von Familienmitgliedern und auch die wollten mal gucken was für einen Mzungu sich die älteste Tochter von M-Se Klein da an Land gezogen hatte. Vor allem der Koch, Hamissi beäugte den damals jungen Mann sehr kritisch und war sich nicht so sicher ob dieser dünne Mann überhaupt für die junge Dame sorgen konnte.
Ich selber kann mich kaum an den alten Mann erinnern, aber er wohl noch um so besser an mich, denn er hat mich nach einem kleinen Vorfall, bei dem einige Plastikschalen in den Ofen gewandert sind, immer wieder aus der Küche gescheucht. Aber wirklich böse war er mir deswegen nicht, Kinder geniessen eine gewisse Narrenfreiheit, egal welche Hautfarbe sie haben.
Aber wie kam es dazu, dass ich überhaupt eine Verbindung zu diesem Teil der Welt habe?
Eine berechtigte Frage und dazu muss ich etwas ausholen, in der Familiengeschichte stöbern. Über das wie und warum weiss ich nur rudimentär Bescheid, vieles nur aus zweiter Hand, da der Kontakt Anfang des neuen Jahrtausends aufgrund eines Familienstreites abbrach, aber das ist eine andere Geschichte.
Es war zu Beginn der 50er Jahre, mein Grossvater hatte soeben geheiratet, doch die Schweiz bot ihm keine Perspektive. Über Bekannte und fünf andere Ecken herum erfuhr er, dass sie im britischen Protektorat Tanganjika noch fähige Fachleute brauchten und er als Automechaniker erfüllte durchaus die Bedingungen. Durch das Einlegen von diversen guten Worten und Beziehungen wanderte er schliesslich aus und versuchte in Ostafrika sein Glück. Nach der Ankunft trat er seine Arbeit bei der
Sisalfaserngewinnung und Weiterverarbeitung an. Er entpuppte sich dort unten als regelrechter Glücksgriff, denn seine Lösungen für die technischen Probleme und seine Improvisationsfähigkeiten waren sondergleichen. Man muss dazu noch sagen, dass er nicht nur ein Improvisationstalent war, sondern auch ein hervorragender Autodidakt, der sich neue Kenntnisse rasend schnell aneignen konnte. So stieg er vom Mechaniker zum Engineer auf und von dort in eine leitende Position. Nach einiger Zeit schmiss er den ganzen Laden und überarbeitete die komplette Infrastruktur mit den primitivsten Mitteln. Doch er begriff im Gegensatz zu den anderen Weissen vor Ort schnell, dass es wichtig war sich in der Landessprache zu verständigen und lernte Suahili, dies ermöglichte ihm auch neue Leute aus der Region anzulernen, sei es für die mechanischen Belange, aber auch für das Büro und die Buchhaltung, Dinge die er sich selber angeeignet hatte und nie darauf ausgebildet worden war.
Aber auch privat ging es aufwärts, denn er konnte sich schon bald ein grosses Haus leisten und betrieb nebenbei Viehzucht und eine Plantage.
Aus dem kleinen Mann aus der Schweiz war eine wichtige lokale Persönlichkeit geworden, denn er war nicht nur der Hauptlieferant für Fleisch, allein seine Einstellung und sein Handeln brachte ihm viel Ansehen. Es war die Art wie er mit den Leuten dort unten umging, er verständigte sich in ihrer Sprache und war nicht korrupt. Auch konnte er viele Dinge durchsetzen und selbst der Armee, Polizei und Regierungsbeamten des späteren Tansania die Stirn bieten, was für Weisse nach der Kolonialzeit nicht selbstverständlich war. So konnte er es sich leisten dem Polizeichef von Lindi an den Kopf zu werfen, dass er ein Halunke sei, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Aber all dies tat er so, dass sein Gegenüber nicht das Gesicht vor den eigenen Leuten verlor, das war ein Umstand den er immer berücksichtigte. Durchsetzen, aber dem anderen das Gesicht und seine Würde wahren lassen. Das brachte ihm bei den Einheimischen grossen Respekt ein, noch mehr als sein Verhalten während der Unruhen vor der Unabhängigkeit. Um die Zeit der Unruhen ranken sich auch noch viele Geschichten, es heisst er wäre dort alleine vor einen bewaffneten Mob getreten. Er hat den Leuten klargemacht, dass sie sie ohne Zweifel umbringen könnten, aber er und jeder andere von den anderen Weissen, die sich hinter ihm im Firmenbüro verschanzt hatten, würden mindestens einen von ihnen mitnehmen. Dann pickte er sich die ängstlicheren aus der Menge heraus und zeigte während dieser Rede auf sie und meinte: einen kann jeder von uns mitnehmen, dass könntest
du sein, oder
du, usw. In Folge liess man ihn und die anderen in Ruhe, es liegt auch daran, dass der Tansanier von der Mentalität nicht unbedingt ein kriegerischer oder gewalttätiger Mensch ist. Darum erwarteten auch alle Nachbarn Tansanias während des Tansanisch-Uguandischen Krieges, dass Tansania diesen verlieren würde, eben wegen der fehlenden Agression. Aber dieser Wesenszug ist eigentlich auch eine Stärke, denn nicht umsonst ist Tansania, trotz der über 130 verschiedenen Ethnien, eines der stabilsten Länder Afrikas und Konflikte eher unbekannt, von Sansibar mal abgesehen.
Wie dem auch sei, mein Grossvater wurde schon bald zu einem wichtigen Mann, von den Einheimischen M-Se genannt, was soviel heisst wie: "der Alte". Das war praktisch ein Status der Unantastbarkeit.
Es gäbe da noch viele Geschichte zu erzählen, auch unschöne die sich nach seiner Rückkehr in die alte Heimat abgespielt haben. Die Geschichte eines gewalttätigen Machtmenschen, der in einem Umfeld der Gewalt aufgewachsen ist. Leider habe ich selber nur seine Schattenseiten kennengelernt und das wenige Gute hilft nur wenig mein Bild von ihm zu verändern. Aber auch der Rest der Familie ist nicht besser, so weiss man nicht, jedenfalls mein Teil der Familie, ob er in seinen letzten Stunden nicht doch seinen Frieden machen wollte.
Und was bleibt von ihm? Erinnerungen und Fotos und Erzählungen von seinem Leben. Das Bild eines Menschen, der vieles aufgebaut hat, aber zeitlebens an Minderwertigkeitskomplexen litt und ein Kontrollfanatiker war. In Afrika selber überdauerte soviel ich weiss nur etwas, eine Fähre über den Pangani River, die er aus Altmetall und Schrott zusammenbaute. Es ist die einzige die noch funktioniert und selbst Heute überquert sie noch den Fluss.