Montag, 4. Januar 2010

Das Totenheer zog durch das Land

Die Friesen sin dür ds Stafel zogen, Mit Wyb und Chind, es ganzes Rych...Am Aben druf was är en Lych. (Übersetzung aus dem Höchstallemannischen: Die Friesen zogen durch den Stall, mit Weib und Kind, ein ganzes Reich... Am Abend darauf war er eine Leich.)

So jedenfalls kündet die Sage vom Friesenweg, die eigentlich von nichts anderem handelt als vom Wüetisheer oder der Wilden Jagd. Der Senn liess seinen Meisterknecht und die beiden Unterknechte allein auf der Alp zurück, aber schärfte ihnen ein die Stalltüren offen zu lassen, damit das Friesenvolk passieren kann. Der Meisterknecht jedoch wusste nichts besseres als beide Stalltüren zu verriegeln um die Worte des, seiner Meinung nach, abergläubischen alten Schwätzers Lügen zu strafen. Was er aber nicht wusste war, dass der Stall auf dem alten Friesenweg errichtet worden war und dass das Totenheer zur Wintersonnenwende aus den Gräbern steigt um durch das Land zu ziehen.
In der Nacht kam plötzlicher Lärm auf, zuerst wie ein sanftes Grollen in der Ferne, dann das Stampfen von Füssen, lautes Klingeln und Klirren, Hörner wurden geblasen, so als ob ein ganzes Heer nahte. Die Knechte waren wie gelähmt vor Angst und wagten es nicht sich zu rühren.
Da wurde plötzlich, wie von Riesenhand, ein Schlag gegen die Tür geführt, dass der Stall nur so bebte und eine geisterhafte Stimme von draussen rief: "Tüet uf die Tür, wan d`s Friesenvolch wott grad derdür!" (Macht auf die Tür, denn das Friesenvolk will hindurchziehen!).
Zu Tode erschrocken und starr vor Angst kauerten die Knechte sich auf dem Heuboden zusammen und keiner wagte es sich zur rühren.
Da fuhr ein zweiter Schlag gegen den Stall, dieses Mal so schwer, dass nicht nur der Stall erbebte, sondern sich auch das Dach mitsamt den Zentnerschweren Steinen hob und die Knechte über sich den Sternenhimmel sahen. Wie von Geisterhand sank das Dach langsam wieder zurück. Da wurde sich der Meisterknecht bewusst was er angerichtet hatte und beschloss das wieder gut zu machen, was er in seinem Übermut am Totenvolk verbrochen hatte. So stieg er dann hinunter in den Stall und öffnete halb tot vor Angst die grossen Stalltüren. Kaum war die Tür offen wurde sie aufgestossen und an ihm zogen Scharen von bewaffneten Kriegern vorbei, dann folgten Reiter und Hunde, dann folgten abermals Krieger. Zum Schluss folgten Frauen und Kinder. Der gespensterhafte Zug schien kein Ende zu nehmen und war erst verschwunden als das erste Morgenrot die Berspitzen umspielte. Dann schlich der Meisterknecht am ganzen Leib zitternd zu seinen Unterknechten hinauf und erzählte ihnen was er gesehen hatte. Und am Abend war er eine Leiche.

Soviel zur Sage.

Wir beschlossen diesmal ins Turbental auf den Schauenberg zur nahen Ruine zu ziehen. Ein ansässiger der alten Sitte hatte uns die Hütte in der Nähe reserviert und dafür gesorgt, dass wir sie für uns alleine hatten. So kamen wir denn aus der Region Basel, aus dem Seeland und der Region Zürich um diese besondere Nacht auf sehr eigene Art zu feiern.
Nach etwa anderthalb Stunden Autofahrt schleppten wir Trycheln, Hörner, Kuhglocken, allerlei seltsame Gewänder und natürlich Lebensmittel und Bier für eine ordentliche Feier den tiefverschneiten Hügel hinauf. Der Schnee war nicht ganz ohne, ständige Rutschgefahr und die Kälte war beissend. In der Hütte selber hatte zum Glück schon jemand für ein anständiges Feuer im Ofen gesorgt, so dass die enge Küche und die gute Stube gut beheizt waren. Es war nur noch eine Frage nicht einmal einer Stunde bis wir den ersten Kaffee kochten um die halbgefrorenen Glieder wieder aufzuwärmen. Nach einer ersten kalten Mahlzeit mit Brot, Wurst, Schinken und Käse, begannen wir mit den Vorbereitungen. Zum einen mussten wir unsere Ausrüstung für den Trychelzug bereitlegen und zwar so, dass wir sie auch in finsterster Nacht wiederfinden würden und auch die Küchenmannschaft begann mit den Vorbereitungen fürs Abendessen.
Die Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit nutzten wir ganz verschieden, zum einen wollten einige die Ruine besichtigen und andere wiederum zogen einfach die Wärme, Kaffee, Bier und gute Gespräche vor.
Als dann die Dunkelheit langsam über das Land zog, kam Unruhe auf, denn ab jetzt konnte man jederzeit von der Totengöttin zum Heer befohlen werden, das war auch das vereinbahrte Signal, dass es losging. Sie kam und Auftritt war einfach göttlich, Gespräche endeten mitten im Satz, Bier wurde abgestellt und jeder von ihr berührte ging stumm aus der Stube. Nun waren wir tot und kein Leben würde uns mehr erfüllen bis die Sonne wieder aufging. Stumm kleideten wir uns ein, verschmierten uns die Gesichter mit Russ und stiegen mit unseren Instrumenten hinauf in den Hof der Ruine. Nach einem kurzen Ritual ging es los, ganz vorne der hirschköpfige Hornträger, dann der Trommler gefolgt von den Trichlern und den Glocken. Dahinter und ohne festen Platz in der Formation die restlichen Hornbläser. So zogen wir los, mit russverschmierten Gesichtern, teils bis an die Zähne bewaffnet und in Gewandungen längst vergangener Zeiten. Die Zeit dehnt sich, man verfällt in eine Trance, eine Stunde wird zur Ewigkeit. Man spürt kaum noch die Kälte, auch der Schmerz verfliegt mit der Zeit und manchmal hat man das Gefühl nicht allein zu sein. So drehten wir unsere Runde und kamen ins Haus zurück, doch nicht mehr als die Männer die man kannte, sondern stellvertretend für die Geister der Ahnen. Mit einem Höllenspektakel kamem wir lärmend in die gute Stube, voller Schnee und furchterregend. Wie die Barbaren drängelten wir, wie zuvor vereinbahrt mit allen, die Gäste von den Bänken und Stühlen und brüllten nach Bier und Fleisch. Wie ausgehungerte, das musste keiner mehr spielen, stürzten wir uns teils mit blossen Händen auf Schinken, Sauerkraut, Brühwurst und Kartoffeln. Laut schmatzend unterhielten wir uns darüber wie wer abgekratzt war, liessen uns vollaufen und sangen wüste Lieder. In der Stube hallte das rauhe Gelächter der Geister, auch Bozis genannt, wider, bis wir wieder aufbrachen. Normalerweise wäre dies der Punkt wo wir einen interessierten entführen würden, der müssten dann mit dem Heer mitmarschieren in der nächsten Runde, aber dieses mal nicht. So zogen wir noch zwei Male hinaus, bis wir zerschunden, erschöpft und alkoholisiert am frühen Morgen entweder in der Bettstatt oder auf Bänken zusammensanken und in einen komatösen Zustand verfielen.
Der nächste Morgen, der Anblick ist nie schön. Alkoholmissbrauch, Schlafmangel und die Anstrengungen haben deutliche Spuren bei den meisten hinterlassen, immerhin auch dieses mal ohne Zahnverlust und andere Verletzungen, aber gezeichnet von der Nacht. Denn körperlich ist die Sache nicht ohne, dass merkte auch einer an, der dieses Mal zum ersten mal mitzog. Man sollte es sich gut überlegen auf was man sich da einlässt. Doch Blessuren gehören irgendwie dazu, auch mein Schienenbein schloss bekanntschaft mit einer Steintreppe, ein Bluterguss als Resultat, und zwei mal erwischte es mich etwas unglücklich beim Sturz, als Folge rammte sich die Parierstange meines Schwertes zweimal in die Seite, gibt wahrscheinlich auch einen blauen Fleck. Auf jeden Fall besser als letztes Jahr wo ich mir fast den Arm ausgehängt habe.
Irgendwie ist es auch Extremsport, aber spirituell enorm bereichernd und energetisch erst recht. Jetzt wo ich das hier niederschreibe bin ich zwar halbkrank, mein Körper schmerzt fast überall, aber ich fühle mich pudelwohl und so richtig mit Kraft erfüllt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke Pascal für diesen schönen Artikel.

E liebs Griessli vo dr Freyfrau